Das System Panzergrenadier VJTF – Die neue Routine der Bayerwaldgrenadiere

von Hauptmann Bertrams

Es ist eine sternenklare Nacht im Verfügungsraum FOXTROTT des Truppenübungsplatzes BERGEN. Kühl und klar, genauso wie die Köpfe der Männer und Frauen des Panzergrenadierbataillon 112 aus REGEN, die in dieser Nacht in Richtung des Schützenpanzers PUMA ihres Kompaniechefs unterwegs sind. Noch vor wenigen Stunden hatte das bereits ikonische Aufjaulen des PUMA – vergleichbar mit dem einer Raubkatze, die er zweifelsohne ist – die Stille der Umgebung durchbrochen. Jetzt sind alle möglichst leise, ob beim Tarnen, Ruhen, Sichern, oder eben auf dem Weg zur Ausgabe des Befehls Nr. 1 zur Erkundung des Kompaniechefs.

Angekommen bietet sich ein Bild, das für die Bayerwaldgrenadiere nichts Ungewohntes mehr ist, für Außenstehende aber unter Umständen schon. Um das Heck des Chefpanzers ist ebenjenes Zelt aufgespannt, das auch für mobile Gefechtsstände beim GTK BOXER zum Einsatz kommen würde. Es ist nicht beheizt, aber dennoch unter Strom. Versorgt durch die Batterien des Schützenpanzers flimmert im Inneren ein Beamer und projiziert das Luftbild des Übungsraums an eine Leinwand. Nachdem alle Platz genommen haben, kann die Befehlsausgabe beginnen.

Mit kurzen Klicks des Chefs tauchen militärische Symbole auf und verschwinden wieder, werden Grenzen ein- und ausgeblendet, Operationspläne verschiedener Phasen übereinandergelegt. Die IT-Feldwebel und KTF-Soldatinnen- und Soldaten der Kompanie haben es für den Chef vorbereitet, alle benötigten Pictures, in denen sich verschiedene Layer befinden, sind vorhanden. Pictures (vglb. mit einer Mappe voller Overlays) und Layers (vglb. mit Overlays) – das sind keine fremden Begriffe für die Bayerwaldgrenadiere mehr. SITAWARE ist fester Bestandteil der Befehlsgebung. Und auch auf dem PUMA lässt sich eine digitale Karte ebenso anzeigen. Die Handkarte dient lediglich als Backup. Noch muss man aber trennen: SITAWARE und TACNET (auf den Fahrzeugen) hat noch keine endgültig ausgereifte Schnittstelle, an der aber noch gearbeitet wird. Ein reines in SITAWARE erstelltes Bild in der Planung muss zur Nutzung im Schützenpanzer also noch umgewandelt werden – und umgekehrt.

Befehlsausgabe digital. Mit wenigen Klicks lassen sich militärische Symbole hinzufügen und wieder löschen. Die Karte kann je nach Bedarf als Luftbild, oder als 1:50.000 dargestellt werden. Bild: Aus dem Bestand des Autors.

Im Februar 2021 waren die Bayerwaldgrenadiere zuletzt in BERGEN und MUNSTER, ebenfalls für einen Durchgang im Schießübungszentrum Heer (SchÜbZ H). Dem Übungsdurchgang vorgeschaltet war etwas, das man unter Benutzung aktueller Begriffe als „Zeitenwende“ für die Panzergrenadiertruppe bezeichnen kann: Die taktische Einsatzprüfung, nach deren Abschluss der PUMA das Prädikat „Einsatz- und Kriegstauglichkeit“ vom Inspekteur des Heeres Generalleutnant Alfons Mais verliehen bekommen hatte.

In einem Artikel zur Einsatzprüfung, ursprünglich erschienen in der Zeitschrift „Europäische Sicherheit & Technik“, Ausgabe 10/2021, zitierten die Autoren des Panzergrenadierbataillon 112 Carl von Clausewitz noch mit „Das Wissen muss ein Können werden“. Gemeint war die größtenteils neue Technik – sei es am Gefechtsfahrzeug selbst, an der Weste eines jeden einzelnen Panzergrenadiers, oder auf dem Gefechtsstand – deren Theorie in die Praxis übergehen musste. Seitdem sind die Bayerwaldgrenadiere noch einen Schritt weitergegangen: Das Können muss nun ein Beherrschen werden.

Die Zeiten und das weltweite sowie europäische Sicherheitsumfeld gebieten dies mehr denn je. Nach wie vor sind die Bayerwaldgrenadiere mit dem Schützenpanzer PUMA, am Standort REGEN dazu noch mit der kampfwertgesteigerten Version VJTF, für den Auftrag Nato Response Force (Land) 2022-2024 Truppensteller für den gepanzerten Leitverband Panzerbataillon 393 aus BAD FRANKENHAUSEN im Rahmen ebenjener Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), die der PUMA in seiner neusten Ausstattungsstufe den Namenszusatz verdankt. Zwar hatten sich anfangs als Rückfalloption Panzergrenadiere ausgestattet mit dem Schützenpanzer MARDER bereitgehalten, doch schnell wurde klargemacht: Wenn die VJTF verlegt, verlegt sie mit dem PUMA.

Ein Schützenpanzer PUMA in der VJTF-Ausstattung: Der schwarze Kasten links am Turm ist die MELLS. Bild: Marco Dorow

Selbstverständlich ändert sich durch die neue Ausrüstung und Technik nichts an den Grundsätzen, wie Panzergrenadiere kämpfen. Auch für einen PUMA müssen Stellungen geschoben, muss Tarnmaterial angebracht, müssen Spuren abgetarnt werden. Er wirkt mit seiner vollstabilisierten Waffenanlage aus der Fahrt, aber auch für ihn gilt: Feuer und Bewegung. So ist zum Beispiel das Mehrrollenfähige Leichte Lenkflugkörper-System (MELLS), das SPIKE LR Raketen mit einer Reichweite von bis zu 4.000 Metern verschießen kann, nicht aus der Fahrt einsetzbar. Dennoch hat der PUMA durch die Einrüstung des Systems eine echte Panzerabwehrfähigkeit bekommen und wurde somit extrem in seinem ohnehin schon hohen Kampfwert gesteigert.

Die neue Technik ersetzt daher auch in den beiden SchÜbZ-Durchgängen 10/21 und 11/21, welche die Bayerwaldgrenadiere im Raum BERGEN bestritten, nicht sämtliche alteingespielte Vorgänge. Vor dem erwarteten Angriffsbeginn des Feindes legen Pioniere nachts die Sperren an, die von den Grenadieren übernommen werden. Soldatinnen- und Soldaten überprüfen nochmal ihre Ausrüstung, bevor sie sich noch ein paar Stunden Ruhe vor dem Sturm gönnen, oder bestreifen den Verfügungsraum. Zugführer brechen die Befehle ihres Kompaniechefs herunter und geben ihre eigenen Befehle an die Gruppenführer und den Zug.

Das SchÜbZ beübte beide VJTF-Kompanien des Panzergrenadierbataillon 112, die 3./112 und die 4./112. Im Wechsel griff eine Kompanie an und die andere verzögerte, hier Schwerpunkt. Auch dabei kam es zu klassischen Bildern: Mal ging die Absicht des Verzögerers auf, mal kam es zur Verzahnung, die es als Verzögerer zu vermeiden gilt. Zum Übungsende hin konnte der Leiter des Schießübungszentrums allen Teilnehmenden den vollen Übungserfolg aussprechen. Natürlich wurde diese Leistung nicht allein durch die Soldatinnen und Soldaten des Panzergrenadierbataillon 112 ermöglicht. Unterstützt wurden die Kompanien durch einen Kampfpanzerzug des PzBtl 203 aus AUGUSTDORF, einen Panzerpionierzug des PzPiBtl 4 mit den Minenverlegegerät MVG 85 aus BOGEN, dem Aufklärungs- und Verbindungszug der 1./PzGrenBtl 112 und einem Joint Fire Support Team (JFST) des ArtBtl 345 aus IDAR-OBERSTEIN.

Schützenpanzer PUMA im Anmarsch. Nach Überschreiten der Ablauflinie beginnt der Angriff. Bild: Marco Dorow

Die neue Technik ist Hilfsmittel, nicht Ersatz. Aber das Hilfsmittel hat es in sich: Statt stundenlang Overlays für alle militärischen Führer vorzubereiten, oder diese Operationspläne abpausen zu lassen, reicht die Übergabe eines USB-Sticks, vorausgesetzt, die Operationspläne wurden bereits in TACNET erstellt. Das Argument, was passiere ohne Strom, zählt hier nicht: Hat der PUMA keinen Strom, hat er keinen Sprit; dann wäre die Form der Karte des militärischen Führers das kleinste Problem.

Durch die gute Ausrüstungslage im Rahmen des NRF(L)22-24 VJTF Auftrags sind die Bayerwaldgrenadiere zudem mit modernster persönlicher Ausstattung gesegnet. Die Streife ist mit G36A3, OpsCore-Helm und montierter LUCIE-2 unterwegs, denn jede Soldatin und jeder Soldat hat eine davon empfangen, Scharfschützen nutzen den auch in der Hand haltbaren Wäremebild-G36-Aufsatz DRAGON bei der Aufklärung, im Feldposten kann abgesessen zusätzlich zum PUMA in Stellung mit dem leistungsfähigeren WBZG (Wärmebild Zielgerät) auf Stativ beobachtet werden.

Eine der nützlichsten Neuerungen ist aber das Blue-Force-Tracking, wodurch die militärischen Führer jederzeit wissen, wo sich eigene Teile befinden. Durch mehrmalige automatische Aktualisierung pro Minute entsteht somit ein dauerhaft klares Lagebild, ohne, dass der Kompaniefunk mit Eigenpositionsmeldungen überladen werden muss. Die Nutzung der digitalen Karte hilft daher zweieiermaßen: In der Phase Plans bis zur Befehlsausgabe kann die neue Technik wie bereits beschrieben genutzt werden, bei der Verteilung der Operationspläne wird Zeit und Material gespart. Im laufenden Gefecht aber zeigt das System seine wahre Stärke: Durch Blue-Force-Tracking wird das Führen erleichtert, der Funk entlastet und am Ende des Tages werden auch Gefahren wie Blue-on-Blue weiter minimiert.

Das digitale Lagebild, immer aktuell: Die Position der Symbole und ihrer dazugehörigen Kräfte verschieben sich automatisch, wenn sich die Kräfte verschieben. Bild: Aus dem Bestand des Autors

Die Bayerwaldgrenadiere sind damit gewappnet für ihren Auftrag. Ende März bis Mitte April stand noch die Verlegeübung WETTINER SCHWERT mit Gewässerüberquerung über die Elbe zusammen mit dem Leitverband Panzerbataillon 393 und die anschließende nationale Zertifizierung im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) auf dem Plan. Vorgelagerte Übungsdurchgänge wie der im SchÜbZ 10/21 und 11/21 haben dafür die Voraussetzungen geschaffen.

Kein neues System ist ohne Fehler. Auch der Kampfpanzer LEOPARD und Schützenpanzer MARDER rollten nicht einst zu ihrer Einführung vom Band und sind seitdem nie wieder ausgefallen. Im Rahmen sich verändernder Einsatzumgebungen und der Weiterentwicklung der Technik sind periodische Kampfwertsteigerungen von Gefechtsfahrzeugen zudem Gang und Gebe. Es soll nicht unterschlagen werden: Auch beim PUMA brauchte es in der nahen Vergangenheit noch Feldtests, damit Truppe und Industrie gemeinsam das System besser und stabiler machen konnten – vielleicht wird es auch noch weitere Feldtests geben. All dies zeigt nur eines: Der PUMA ist gekommen um zu bleiben. Die Bayerwaldgrenadiere sind überzeugt, dass er sein Prädikat „einsatz- und kriegstauglich“ im Rahmen des NRF(L)22-24 VJTF Auftrags erneut unter Beweis stellen wird.