Von Hauptmann Martin Kretschmer & Leutnant Richard Klose
„Wir müssen uns dabei allerdings bewusst bleiben, dass auch Europa nur weiterleben kann, wenn es eingebettet bleibt in den größeren Rahmen der atlantischen Gemeinschaft. Das bisher Erreichte in der NATO zu festigen und zu vertiefen, liegt im wohlverstandenen Interesse eines jeden von uns.“
Konrad Adenauer
Am 07.10.1960 hielt der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, eine Rede in Bonn anlässlich eines Abendessens für den französischen Ministerpräsidenten Michel Debré. Auch heute, nach über 60 Jahren, zeigt dieses Zitat die Bedeutung und Notwendigkeit gelebter Interoperabilität zwischen Bündnispartnern. Diese Erkenntnis spiegelte sich im Trainingsevent Oberlausitz „DEFENDER EUROPE 2022“ wieder. An diesem Vorhaben beteiligten sich insgesamt über 1000 Soldaten des 1-8 Infanterie Bataillons aus dem Bundestaat Colorado sowie Kräfte des Panzergrenadierbataillons 212 aus Augustdorf. Zudem erhielten wir Unterstützung aus anderen Einheiten und Verbänden der Brigade. Aufgrund der trockenen Witterung war zeitweise sogar eine CH-53 voraus stationiert, um die Gefechtsschießen trotz hoher Waldbrandstufe zu ermöglichen.

Höhepunkt und zeitgleich Zielsetzung des Übungsvorhabens waren die Kompaniegefechtsschießen binationaler verstärkt/verminderter Panzer-/Panzergrenadierkompanien im Gefecht verbundener Waffen. Im Fokus stand die Verbesserung der Interoperabilität auf der taktischen Ebene mit besonderer Betrachtung der Kommunikation, Taktik/Doktrin, Führung im Gefecht in englischer Sprache bis hin zur weitestgehenden Integration DEU/USA Fähigkeiten unter Harmonisierung von Standards. Die Vorbereitungen für diesen Schwerpunkt des Verbandes im ersten Halbjahr 2022 begannen mit gemeinsamen Erkundungen im Herbst 2021 sowie diversen Abstimmungen/Videokonferenzen mit zahlreichen beteiligten Ebenen. Eine Herausforderung, die sich am Ende absolut lohnen sollte!
1st Week – National Business
Den Beginn der Übung „DEFENDER EUROPE 2022“ leitete für das Panzergrenadierbataillon 212 die erstmalige Verbringung von 24 SPz Pumas mittels Bahntransport in die OBERLAUSITZ ein. Der Kernübungszeitraum des Trainingsevents streckte sich über vier Wochen zwischen dem 30.04.-29.05.2022, wobei die erste Woche in der jeweiligen nationalen Verantwortung lag. Die 4./PzGrenBtl 212 führte zum Fähigkeitserhalt auf der Schießbahn 4 erneut Gefechtschießen durch, in der alle drei Züge bei Tag und bei Nacht unter Einbindung von Bergepanzern, Pionierkräften und Lagen zur Drohnenabwehr beübt worden sind. Sowohl die Befehlsausgaben auf der Ebene der Kompanie als auch das Führen des Kompaniekreises wurden als Vorbereitung auf den folgenden Unterstellungswechsel in der NATO-Sprache Englisch durchgeführt. Die Kompanie ging somit sehr gut vorbereitet in die kommenden Phasen.

2nd Week – Preparation/ Handover-Takeover
Die Einnahme der TaskOrg DEU/US wurde zu Beginn der zweiten Woche vollzogen. Dies bedeutete für die Kompanie die Abgabe des I. Zuges an die C „Panzerkompanie“ (US) sowie des II. Zuges an die A „Mechanisierte Kompanie“ (US). Die 4./PzGrenBtl 212 wurde sowohl mit amerikanischen (PzZg, MechZg, AufklGrp) als auch deutschen Kräften (JFST, GSI-Trp, PzPiGrp, KpfMiAbwGrp) verstärkt, wodurch der benötigte Fähigkeitsmix für das bevorstehende Kompaniegefechtsschießen mehr als gegeben waren. Insgesamt hatte die Kompanie nach dem Unterstellungswechsel eine Woche Zeit, bis sie erstmals taktisch eingesetzt wurde. Ziel dieser Woche war dabei weniger die Synchronisation der Taktiken, sondern vielmehr das gegenseitige Verständnis. Hierfür wurden statische Waffenschauen sowie Grundlagenunterrichte, Sandkastenausbildungen und Geländebegehungen inkl. Entschlussfassung für die eigene Planung durch die beiden Kommandeure im Team-Teaching durchgeführt. Im Rahmen des Gefechtsdienstes konnten die jeweiligen Grundsätze miteinander verglichen werden. Sowohl die Struktur der US-Panzertruppen als auch deren Einsatzgrundsätze unterschieden sich dabei zum Teil deutlich von unseren. Die Besatzung der hinteren Kampfräume sind z.B. nicht fest zugeordnet, die Formen der Entfaltung weniger facettenreich und deren Abstände auf- wie abgesessen teils erheblich größer. Weiterhin divergieren deren Kräfteverhältnisse und taktischen Schwerpunktsetzungen von der unseren Einsatzgrundsätzen. Der Führungsprozess deutscher Landstreitkräfte unterscheidet sich hierbei ebenso deutlich von dem der US-Army. Allein in den Befehlsausgaben von Vertretern der jeweiligen Teileinheiten wurde dies bereits ersichtlich. Obwohl die Befehlsstruktur des Operationsbefehls weitestgehend identisch ist, findet in der Durchführung, also der Vermittlung der Inhalte, eine unterschiedliche Schwerpunktlegung statt. Während die deutschen Führer besonderen Wert darauf legen, dass die eigene Absicht, die „3a“, durchdrungen und der Auftrag von der jeweiligen Teileinheit verstanden wird, dienen amerikanische Befehlsausgaben dazu, die Idee des Gefechts zu vermitteln, welche vorrangig mit vorgeplanten Triggerpoints nach dem Schema „auf A folgt B und auf B folgt C“ untermauert wird. Der gravierendste Unterschied wird dabei erst nach der Befehlsausgabe ersichtlich. Während der deutsche Zug nach der Befehlsausgabe praktisch bereit für den Einsatz ist, üben die amerikanischen Züge die Operation vor in Form von sogenannten Rehearsals. Diese reichen von Sandkastenausbildungen, über das „Abspielen“ des Gefechts über Funk bis hin zum gefechtsmäßigen Vorüben anhand eines vergleichbaren Geländes. Beide Seiten gingen mit deutlich größerem Verständnis für die jeweils andere Seite aus diesen Ausbildungen hervor. Für die erfolgreiche Kohäsion innerhalb dieser Woche veranstaltete die Kompanie darüber hinaus ein Sportfest mit anschließendem BBQ. Hierbei lernten sich die Kräfte auf allen Ebenen gegenseitig gut kennen und schätzen.

3rd and 4th Week – Multinational Life Fire Exercise (LFX)
Die eigentliche Übung startete mit der Bataillonsbefehlsausgabe für den Angriff, durchgeführt durch den US-amerikanischen Kommandeur und seine Stabsabteilungen. Der Kompaniechef 4./PzGrenBtl 212 wiederum gab nach einer kurzen Planungsphase seine eigene Absicht mit den verbundenen Einzelaufträgen für jede Phase des Gefechts an seine Kräfte bekannt. Wenngleich die Sprache anfänglich eine kleine Herausforderung war, so entwickelte sich diese Fähigkeit im täglichen Gebrauch schnell und auf ein erstaunlich hohes Niveau sowohl bei Offizieren, Unteroffizieren als auch den Mannschaftssoldaten. Die Führungsfähigkeit litt darunter zu keiner Zeit. Nach Abschluss aller Maßnahmen im Truppenlager marschierte die 4./PzGrenBtl 212 hochmotiviert als eine Marscheinheit, bestehend aus rund 20 Gefechtsfahrzeugen, unter der Führung des Kompanieeinsatzoffiziers in den einsatznahen Verfügungsraum im Zuge der Schießbahnen 2 und 3, bezog diesen und schloss die letzten Maßnahmen inkl. Versorgung vor dem Gefecht ab. Losgelöst von der Lage galt es im Verfügungsraum die größte Herausforderung zu lösen – die direkte Verbindung zwischen den deutschen und amerikanischen Funksystemen. Um diese herzustellen, mussten die deutschen Funkgeräte auf Pilotton umgestellt werden – ungeachtet dessen kam es immer wieder zu Funkabrissen, worauf sich alle Teilnehmer jedoch im Laufe der Zeit immer besser einstellten und sich Notfallmaßnahmen einspielten.

Den Beginn des Angriffs leitete der Kommandeur über Funk mit einem Lageaufwuchs der Nachbarn, Aufklärungsergebnissen der Task Force sowie einem Gefechtsbefehl ein. Dem Angriff der Kompanie voraus ging die Aufklärungsgruppe und der Scharfschützentrupp, beweglich auf einem HMMWV (Humvee) und einen Bradley M2 Schützenpanzer, mit dem Auftrag mögliche Verlege-, Richtminensperren und die Gangbarkeit von zwei Übergängen im südlichen Raum des Verantwortungsbereiches aufzuklären. Die drei Kampfzüge sowie die Kampfunterstützer überschritten unter Ausnutzung des indirekten Feuers (120mm Möser im scharfen Schuss) in einem Zuge die Ablauflinie. Während der rechts eingesetzte PzZg (US) auf Höhe der Ablauflinie zunächst in Stellung ging, der in der Mitte eingesetzte MechZg (US) seine „support by fire position“ bezog und den Feind im Zwischenziel niederhielt, griff der III. PzGrenZg (DEU) unter Ausnutzung des Steilfeuers auf- und abgesessen auf das erste von vier Objectives an. Auftrag hier war es, Übergänge für die Folgekräfte zu öffnen. Nachdem der mittig eingesetzte MechZg (US) das nächste Zwischenziel genommen hatte, bezog dieser auf- und abgesessen eine weitere support by fire position im Zuge einer Anhöhe und überwachte zusammen mit dem rechts eingesetzten PzZg (US), welcher unterdessen weiteren Raum gewonnen hatte, den Angriff des III. PzGrenZg (DEU) auf das Zwischenziel 3, einem extra für diese Übung geschaffenes Stellungssystem durchzogen mit Gräben und einer Ortschaft. Gemäß der Aufklärung durch das Bataillon verschoben sich zeitgleich feindliche Kräfte – vermutlich die feindliche Reserve – in Richtung der eigenen Kräfte. Der Kompaniechef, welcher sich in jeder Phase im Schwerpunkt befand, erkannte den Handlungsbedarf, reagierte und gab seinen neuen Entschluss im Gefechtsbefehl bekannt. Der rechts eingesetzte PzZg (US) griff nun noch vor dem Nehmen des Zwischenziels in Sturmfahrt auf sein Zwischenziel an, sodass alle drei Kampfzüge auf selber Höhe Richtung Westen Stellung bezogen und so erfolgreich den feindlichen Gegenstoß abwehren konnten.

Es folgte eine phasenweise Auswertung durch beide Bataillonskommandeure. Mit jedem der acht Durchgänge, die in der zweiten Woche mit angepassten Gefechtsbildern/-ausschnitten durchgeführt wurden, konnte die Kompanie ihr Ergebnisse verbessern und mehr als überzeugen. Dabei hat sich das Nutzen von sogenannten Prowords während der Operationsführung als überaus zweckmäßig erwiesen. Durch kurze, vorab in der Befehlsausgabe definierten Schlüsselwörter (z.B. Goal für das Nehmen eines Ziels), konnten Lageinformationen schnell verbreitet und die nächsten Phasen eingeleitet werden, ohne dabei den Funkkreis zu belasten. Zudem nutzen die Kräfte die Option, um sich kursorisch wann immer möglich mit dem Material des jeweils anderen vertraut zu machen. Dabei wurde, trotz aller bekannter Hindernisse, die grundsätzliche Leistungsüberlegenheit hinsichtlich Agilität und Feuerkraft des SPz PUMA gegenüber dem in die Jahre gekommenen M2 Bradley deutlich. Über Unterschiede im Führungsverständnis und in der materiellen Ausstattung ließ sich auch mit den beiden, an US-Kompanien abgegebenen Zügen trefflich diskutieren. Über alle Dienstgradgruppen hinweg wurde erfreulicherweise ein reger Austausch gepflegt.

Die 4./PzGrenBtl 212 hat ihren Auftrag erfolgreich erfüllt.
Das Trainingsevent Oberlausitz „DEFENDER EUROPE 2022“ fand somit ein erfolgreiches Ende und wurde mit einem deutsch/amerikanischen BBQ, wobei sich noch einmal letztmalig über das gemeinsame Erlebte ausgetauscht und sich von den US-amerikanischen Freunden verabschiedet wurde, abgeschlossen. Den US-Kräften 1-8 InfBn diente dieses Vorhaben nicht zuletzt als Zertifizierung der Ebene Zg/Kp für den bevorstehenden Einsatz entlang der NATO Ostflanke. Das PzGrenBtl 212 nutzte das Trainingsevent als Nachweis der Ausbildungshöhe „D+“ für die 4./PzGrenBtl 212 im Rahmen des OFF 1-Auftrag der Brigade. Im Rahmen eines Inspektionstages konnte sich diverse Dienstaufsicht bis hin zum Stellvertreter des Generalinspekteurs, Generalleutnant Laubenthal, auf deutscher sowie dem Vice-Chairman Joint Chiefs of Staff, Admiral Gradey, auf US Seite lebhaft überzeugen. Beide zeigten sich über die Kohäsion und das Erreichte nach wenigen Ausbildungstagen sichtlich beeindruckt. Trotz aller Anstrengungen und Entbehrungen war dieses Trainingsevent ein Erfolg, welches den Beteiligten noch lange in guter Erinnerung bleiben wird!

