Von Daniel Andrä und Daniel Solle
Vorwort
Als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die fortgesetzte Destabilisierung der Ukraine hat die NATO 2016 auf ihrem Gipfel in Warschau die Einrichtung der Mission enhanced Forward Presence (eFP) beschlossen. Zunächst wurden in Polen und den baltischen Staaten rotierende Gefechtsverbände zur Sicherung der NATO-Ostflanke und der Abschreckung von Bedrohungen des Bündnisgebietes stationiert. Deutschland hat Anfang 2017 als Rahmennation die Führung der enhanced Forward Presence Battle Group in Litauen übernommen.

Für das erste Halbjahr 2022 war das Panzergrenadierbataillon 411 aus Viereck als Leitverband für die Aufstellung des Gefechtsverbandes beauftragt. Vor der Verlegung an den Standort Rukla, rund 100 Kilometer nordwestlich der litauischen Hauptstadt Vilnius, hat sich der Verband über ein Jahr mit den sonstigen nationalen und multinationalen Truppenstellern auf diesen Auftrag vorbereitet. Während der Vorbereitung waren die Umstände der Mission und die sich zuspitzende Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine zunächst nicht absehbar. Gleichwohl war die intensive und umfassende Vorbereitung ein Schlüssel zum Erfolg, ohne den die Auftragserfüllung zu Beginn der Rotation nicht vorstellbar gewesen wäre.
Vorbereitung
Frühjahr 2021, Simulationsgestützte Rahmenübung in Dresden
In einem mehrtägigen, virtuellen Gefecht bereitete sich v.a. der Stab im April 2021 auf die Mission in Litauen vor. Erstmalig nahmen dabei auch Soldatinnen und Soldaten aus den Niederlanden teil. Ein wichtiger und frühzeitiger Schritt für die zukünftige multinationale Zusammenarbeit und Kohäsion. Im SIRA-Stützpunkt Dresden wurde der Stab in Operationsplanung und -führung beübt. Als Führungsprozess wurde frühzeitig APP-28 gewählt und in mehreren Ausbildungsabschnitten genutzt. Das Zusammenspiel der Stabsabteilungen und die Durchführung der gesamten Ausbildung in Englisch waren ein wichtiger Meilenstein für die weitere Ausbildung und auf dem Weg ins Gefechtsübungszentrum des Heeres.

Sommer 2021, Schießübungszentrum Munster
Die 4./Panzergrenadierbataillon 411, als designierte verstärkte deutsche Kampfkompanie, hatte erst seit wenigen Wochen einen neuen Kompaniechef und fand sich nach Dezember 2020 erneut im Schießübungszentrum der Panzertruppen wieder. Im Vorjahr noch im Angriff, kamen nun erstmals alle Teileinheiten zusammen und wurden in der Verzögerung beübt. Ein intensiver Übungsdurchgang lies die Kompanie zusammenwachsen und bildete das Fundament für eine funktionierende und geschlossene Kompanie, auf die jederzeit Verlass war.

Spätsommer 2021, Gefechtsübungszentrum in der Letzlinger Heide
Es nahte der Höhepunkt der Vorbereitung. Erstmals wurde der Verband verstärkt mit der niederländischen Kampfkompanie, Kampf- und Einsatzunterstützung aus ganz Deutschland und Stabspersonal aus den Niederlanden, Norwegen und Tschechien, Nun galt es für die zukünftige Battle Group sich unter realistischen Bedingungen zu beweisen. Zwei Wochen lang tobte das Gefecht mit rund 1.300 Soldatinnen und Soldaten sowie 500 Fahrzeugen. Das Verzögerungsgefecht wurde erfolgreich geführt, der Gefechtsverband hat „funktioniert“, der Verlegung nach Litauen konnte optimistisch entgegengeblickt werden. Einziger Wehmutstropfen war die Nichtteilnahme der norwegischen Kampfkompanie. Diese galt es dann im Einsatzland zu integrieren.

Januar 2022, Verabschiedung in Viereck
Das Jahr begann mit einem unangekündigten Besuch der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Ihr war es ein Herzensanliegen, das Bataillon in den Einsatz zu verabschieden und dabei auch die Herausforderungen in der Vorbereitung und Optimierungspotential aufzunehmen. In einem Verabschiedungsappell wurde die finale Trennung zwischen „Team Einsatz“ und „Team Heimat“ vollzogen. Die Bürgermeisterin der Stadt Pasewalk verabschiedete die Soldatinnen und Soldaten und übergab das traditionelle Ortsschild der Patenstadt, der Stellvertreter übernahm die Führung in Viereck.
Durchführung
Übernahme der Verantwortung im Januar und Februar 2022
Die ersten deutschen Fahrzeuge erreichten Ende Januar die Entladebahnhöfe in Litauen. Parallel verlegte das Personal ab Mitte Januar im Lufttransport. Unsere multinationalen Partner rotierten zeitversetzt etwas eher und waren bei unserer Ankunft größtenteils schon in Verantwortung.
Am 9. Februar 2022 übernahmen wir formal die Führung vom Panzerbataillon 414, welches den Leitverband für die 10. Rotation stellte. Der Kommandeur der 11. Rotation formuliert nach Übernahme folgende Absicht für das kommende halbe Jahr:
enhanced Forward Presence Battle Group Litauen
- zeigt vom ersten Tag Einsatzbereitschaft und robuste Präsenz,
- tritt geschlossen auf und ist fest in litauische Strukturen integriert,
- vertieft Zusammenarbeit mit IRON WOLF Brigade auf Bataillons-/Kompanieebene,
- verbessert Interoperabilität (und nutzt die Mission als permanente Testumgebung),
- erhöht die Einsatzbereitschaft durch Ausbildung und multinationale Übungen mit Schwerpunkt auf defensiven Aktivitäten,
- durchläuft Zertifizierungsübung IRON WOLF erfolgreich, hier Schwerpunkt,
um unsere Geschlossenheit zu unterstreichen und glaubwürdige Abschreckung sowie die Bereitschaft zur Verteidigung Litauens zu demonstrieren.

Zum Zeitpunkt der Übernahme am 9. Februar 2022 waren die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine bereits deutlich fortgeschritten. Mehr als 100.000 russische Soldaten standen an der ukrainischen Grenze zum Angriff bereit. Auch in Litauen war die Anspannung deutlich erhöht, die Bedrohungswahrnehmung ist dort historisch begründet von jeher eine andere. Die politische Führung des Landes hatte bereits eine Erhöhung der militärischen Präsenz gefordert. Noch am Tag der Übernahme wurden die Verstärkungskräfte in eine fünftägige Notice-to-Move versetzt und unmittelbar in Marsch gesetzt. Von 0 auf 130 galt es in der Operation STRONGER GRIFFIN insgesamt ca. 550 Soldatinnen und Soldaten mit einer Vielzahl an zusätzlichen Fähigkeiten aus Deutschland, Norwegen, den Niederlanden und Luxemburg aufzunehmen und zu integrieren. Die Voraussetzungen dafür waren zunächst alles andere als komfortabel. Erstmals seit Bestehen der Mission wurden die Verstärkungskräfte außerhalb von planmäßigen Übungen und permanent verlegt. Insgesamt wuchs die Battle Group so dauerhaft auf ca. 1.700 Soldatinnen und Soldaten an.
Der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markierte dann nicht nur für Deutschland und Europa, sondern auch für die Battle Group eine Zeitenwende. Niemand konnte sagen, wie lange der Krieg dauert, niemand konnte sagen, was kommt als Nächstes. Spätestens jetzt war die Notwendigkeit des Auftrages dem Letzten klar, spätestens jetzt wurde deutlich, dass die 11. Rotation einzigartig und besonders werden sollte. Ein erhöhtes Ausbildungs- und Übungsprogramm, verstärkte Präsenz im Land sowie mediale und öffentliche Aufmerksamkeit bestimmten die nächsten Wochen und Monate.

März/April 2022, die erste Großübung in Pabrade
Der Auftrag blieb unverändert, die Erwartungshaltung der Litauer, in deren Verteidigungsplänen die Battle Group eine entscheidende Rolle spielt, stieg. Bereits nach Übernahme wurde die Battle Group in eine 24-stündige Verlegebereitschaft versetzt. Nach einer Vielzahl von Alarmierungs- und Verlegeübungen marschierte die Battle Group Ende März geschlossen zur ersten großen Übung RISING GRIFFIN auf dem Truppenübungsplatz Pabrade. Unterstützt durch das amerikanische Panzerbataillon 3-66, die den Feind darstellten, wurde der gesamte Gefechtsverband in defensiven und offensiven Gefechtshandlungen beübt. Das Zusammenspiel der Kräfte, von Kampfkompanien bis zu Unterstützungskompanien, von der Flugabwehr bis zur Artillerie, konnte so weiter optimiert werden. Die eigenständige Vorbereitung, Durchführung, Übungssteuerung und -auswertung sowie Nachbereitung forderte alle Übungsteilnehmer erheblich und schuf die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Übung IRON WOLF im Mai.

Mai 2022, IRON WOLF
IRON WOLF bildet regelmäßig den Übungshöhepunkt der Rotationen. Unter Führung der litauischen Iron Wolf Brigade konnte in einem realistischen Szenar die gesamte Battle Group im hochintensiven Gefecht sowohl im Angriff als auch in der Verteidigung beübt werden. Mit einem litauischen Bataillon als Gegner und umfassender Luftunterstützung mit unterschiedlichsten Luftfahrzeugmustern waren die Rahmenbedingungen ideal. Verknüpft mit der multinationalen Luftlandeübung SWIFT RESPONSE war es zugleich möglich auf Verbandsebene eine Ablösung aus der Stellung durchzuführen, eine Operation, die auch in Deutschland nicht alltäglich geübt werden kann. Nach intensiven 14 Tagen wurde die Battle Group schlussendlich durch den Leiter des Readiness Inspection Teams, Brigadegeneral Nawrat, und die NATO als voll einsatzbereit zertifiziert.

Juni 2022, das Gefechtsschießen in Pabrade
Das Gefechtsschießen VICTORIOUS GRIFFIN bildete schließlich den Abschluss des Ausbildungs- und Übungsrhythmus der 11. Rotation. Unter Einbindung aller Fähigkeiten, inklusive Steilfeuer und Flugabwehr, konnten die Soldatinnen und Soldaten der 11. Rotation letztmalig geschlossen ihre Einsatzbereitschaft im scharfen Schuss unter Beweis stellen. Anschließend bestimmten die Vorbereitungen zur gestaffelten Rückverlegung in die Heimatstandorte und die Aufnahme der 12. Rotation den Dienstalltag.
Die Battle Group hat ihren Auftrag in historischen, herausfordernden und unsicheren Zeiten erfüllt und unter Führung der litauischen Iron Wolf Brigade einen Beitrag zur glaubwürdigen Abschreckung an der Ostflanke der NATO geleistet. Alle Angehörigen der 11. Rotation können stolz auf das Erreichte sein. Zusätzlich können wir dankbar feststellen, dass die Battle Group von größeren Zwischenfällen und Unfällen verschont geblieben ist und alle Soldatinnen und Soldaten gesund in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind.

Nachbereitung
Juli/August 2022, Rückverlegung & Übergabe der Verantwortung in Rukla
Da das Bataillon nach Rückkehr volle Auftragsbücher erwartet, kam der Rückverlegung des Großgerätes und Materials in einem einsatzbereiten Zustand eine entscheidende Bedeutung zu. Dabei ist die strategische Verlegung per Bahn und Fähre eine komplexe Operation für sich. Neben einer sorgfältigen Planung, waren gewissenhafter technischer Dienst und Tierseuchenprophylaxe vor dem Rückmarsch durchzuführen.
Nachdem die Nachfolger mit Personal und Material vor Ort waren, erfolgte am 10. August 2022 die Übergabe der Verantwortung an die 12. Rotation. Seit diesem Tag ist das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf mit der Führung der Battle Group beauftragt. Mit Übergabe wurde eine angepasste Führungsstruktur implementiert. Neben Oberstleutnant Maulbecker als Kommandeur der Battle Group ist mit Oberst Hastenrath als deutschem Kontingentführer die Verantwortlichkeit nunmehr aufgesplittet. Oberst Hastenrath verantwortet zusätzlich die Führung des Forward Command Elements der enhanced Vigilance Activity, wo derzeit die Panzergrenadierbrigade 41 Kräfte für eine aufwuchsfähige Brigade stellt, wenn die Brigadeführung nicht vor Ort ist. Ebenfalls ist Oberst Hastenrath in den Stab der Iron Wolf Brigade integriert und hier für die Koordination von Ausbildung und Übung zuständig.

September 2022, Rückkehrerappell in Pasewalk
In den Abendstunden des 29. September 2022 wurde der Einsatz des Bataillons mit seinen unterstützenden Verbänden aus ganz Deutschland auch formal beendet. Im Rahmen eines Rückkehrerappells in der Stadt Pasewalk wurden die Leistungen im Beisein der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages öffentlich gewürdigt.
Der Appell bot auch Gelegenheit den Beitrag des „Teams Heimat“ hervorzuheben, dass parallel eine Vielzahl an Aufträgen mit knappen Ressourcen zu bewältigen hatte und dem „Team Einsatz“ den Rücken freigehalten hat. Somit war der erfolgreiche Einsatz ein Verdienst des gesamten Bataillons und aller Männer und Frauen, ganz gleich wo sie letztlich eingesetzt waren.
Mit Blick in die Zukunft wird Litauen den Verband nicht loslassen. In den Ausbildungs- und Übungsplanungen der enhanced Vigilance Activity spielt auch das Panzergrenadierbataillon 411 eine Rolle. Im März 2023 wartet der nächste Übungsdurchgang im Gefechtsübungszentrum, im Juni werden nach derzeitiger Planung große Teile des Bataillons zur Übung GRIFFIN STORM nach Litauen verlegen. Ansonsten gilt: Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz. Nach drei Jahren Landes- und Bündnisverteidigung sowie Kerngeschäft wird das Bataillon nach GRIFFIN STORM den Fokus in Richtung Stabilisierung und Afrika verlagern müssen. Das Bataillon stellt 2024 den Leitverband für MINUSMA. Die Vorbereitungen darauf werden dann im Fokus stehen.
Zu den Autoren
Oberstleutnant Daniel Andrä ist seit September 2020 Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 411 in Viereck. Von Februar bis August 2022 hat er als Kommandeur der 11. Rotation der enhanced Forward Presence Battle Group in Litauen knapp 1.700 Soldatinnen und Soldaten aus 7 Nationen geführt.

Oberleutnant Daniel Solle war von Januar bis Juli 2022 in der 11. Rotation der enhanced Forward Presence Battle Group in Litauen als Kompanieeinsatzoffizier der Support Coy eingesetzt. Mittlerweile ist er Zugführer in der 4./PzGrenBtl 411 in Viereck.
