Militärgeschichte für die Truppe – Die Bildungsangebote des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

von Uwe Hartmann

„Wozu brauche ich Militärgeschichte? Mein Panzer fährt doch auch ohne historische Bildung“, so antwortete einmal ein Soldat auf die Frage, ob er sich für militärgeschichtliche Themen interessiere. Viele Chefs und Kommandeure sehen kaum noch Möglichkeiten, Unterrichte, Exkursionen oder Museumsbesuche in den Dienstplan aufzunehmen. Andere Ausbildungsthemen seien wichtiger und dringlicher. Trifft auf die historische Bildung in der Bundeswehr also das Sprichwort der indigenen Dakota zu, wonach man absteigen sollte, wenn man bemerkt, dass man ein totes Pferd reitet?

Obwohl die Vorschriften in der Bundeswehr verlangen, dass Veranstaltungen zur historischen Bildung durchzuführen sind, bleibt die kritische Frage nach deren Nutzen berechtigt. Worin besteht der praktisch verwertbare Zweck für die Streitkräfte bei der Beschäftigung mit Militärgeschichte? Und welchen Gewinn können die Soldatinnen und Soldaten daraus für ihren Dienst ziehen? Wie bei anderen Ausbildungsthemen sind Vorgesetzte in der Bundeswehr aufgefordert, darüber Rechenschaft abzulegen, welchen Beitrag die historische Bildung für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte leistet. Dies gilt auch für das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Die Antwort darauf hat wesentlichen Einfluss auf dessen Bildungsangebot für die Truppe.

Oftmals werden die Zwecke der historischen Bildung aus dem soldatischen Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ abgeleitet. Im Kern soll die Beschäftigung mit Militärgeschichte dazu beitragen, das Ideal des Staatsbürgers in Uniform zu verwirklichen. Durch Diskussionen in Seminaren, Begehung historischer Orte oder Lektüre von Bundeswehr-Zeitschriften erhalten Soldatinnen und Soldaten die Möglichkeit, ihre freiheitlich-demokratischen Einstellungen zu festigen. Zudem ist historische Bildung unverzichtbar für die Erarbeitung eines angemessenen Traditionsverständnisses. Sie fördert Akzeptanz für die Auswahl von Ereignissen, Personen, Institutionen und Prinzipien aus der deutschen Militärgeschichte und weckt die Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit in der Traditionspflege.

Dass diese Inhalte historischer Bildung mehr als berechtigt sind und für deren Vermittlung keine Anstrengungen gescheut werden dürfen, zeigen Phänomene wie der politische Extremismus oder der unkritische Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Autoritäre Regime, wie beispielsweise Russland, fahren im Zuge ihrer mentalen Kriegführung regelrechte Kampagnen, um die Bürgerinnen und Bürger vor allem in Deutschland in ihrem Denken und Handeln zu beeinflussen. Verschwörungstheorien und Geschichtsklitterungen sollen gerade auch Soldatinnen und Soldaten in ihrer Dienstauffassung verunsichern. In dieser schwierigen Gemengelage darf die Bundeswehr demokratiefeindlichen Akteuren nicht die Deutungshoheit überlassen.

Die öffentliche Meinung, dass die Soldatinnen und Soldaten mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, ist zudem Voraussetzung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Bundeswehr. Befragungen belegen, dass gesellschaftliches Vertrauen abnimmt, wenn es zu extremistischen Vorfällen oder schikanösen Ausbildungsmethoden in der Truppe kommt. Darunter leidet nicht nur die Wertschätzung des Dienstes der Soldatinnen und Soldaten. Auch die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, die Bundeswehr finanziell besser auszustatten, nimmt ab.  

Der aus dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ abgeleitete Zweck ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Historische Bildung trägt auch zur militärischen Schlagkraft der Truppe bei, indem sie die Einsatzmotivation fördert. Wenn Soldatinnen und Soldaten Geschichten von Menschen hören, die herausragende Leistungen vollbracht haben, oder Exponate in Museen oder Ausstellungen betrachten, anhand derer beispielhaftes militärisches Handeln besser vorstellbar wird, fragen sie sich automatisch, ob sie sich auch so verhalten hätten und ob sie sich künftig daran orientieren können. Soldatinnen und Soldaten verstehen die Bedeutung von Frieden als sicherheitspolitisches Ziel besser, wenn sie die Faszination von Mut und Heldentum in Kriegen mit Gewalt und Zerstörung sowie mit Tod und Leid vieler Menschen kontrastieren. Sollte es dennoch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen, wissen sie, was Kriege ihnen abverlangen können.

Darüber hinaus fördert historische Bildung die militärische Professionalität. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Soldatinnen und Soldaten sich heute für den Kalten Krieg und die damaligen Erfahrungen interessieren. Wie war das mit der Kaltstartfähigkeit der Bundeswehr und der Einsatzbereitschaft des Einzelnen? Nach welchen Einsatzgrundsätzen wurde die Truppe damals ausgebildet? Wie funktionierte die Abschreckung und wie ist es gelungen, Krisen wie beispielsweise die Kuba-Krise im Oktober 1962 nicht eskalieren zu lassen? Ganz allgemein gilt, dass Handlungsfähigkeit in einer komplexen Welt, die sich immer schneller verändert und Orientierungsprobleme bereitet, eine gehörige Portion Geschichtsbewusstsein erfordert.

Vor allem für Vorgesetzte ist es wichtig, den Nutzen der Militärgeschichte für die militärischen Entscheidungsprozesse und die konkrete Planung auf den taktischen, operativen und militärstrategischen Führungsebenen zu erkennen. Der Satz „Aus der Militärgeschichte könne man nicht lernen, was man tun soll, sondern, was man bedenken muss“ weist auf die kritische Funktion hin, die historisch gebildete Soldatinnen und Soldaten in Entscheidungs- und Planungsprozessen spielen. Die Militärgeschichte bietet viel Anschauungsmaterial, mit welchen unerwünschten Nebenfolgen gerechnet werden muss und was alles schiefgehen kann. Sie vermittelt damit ein Verständnis dafür, was geht und was nicht geht. Daraus lassen sich zwar keine Gesetzmäßigkeiten ableiten, aber zumindest sinnvolle Fragestellungen, die zu weiterer Analyse und Alternativplanungen auffordern. Historische Bildung leistet also einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Problemlösungskompetenz des Einzelnen sowie ganzer Führungsstäbe. Sie ist unverzichtbar für das wirkungsorientierte Denken, das als Führungsprinzip fest in der Vorschrift zur Truppenführung von Landstreitkräften verankert ist.

Wenn Militärgeschichte wichtig ist für das Selbstverständnis als Staatsbürger in Uniform und für die militärische Professionalität, dann müssen dafür auch entsprechende Bildungsprodukte bereitgestellt werden. Für diese Aufgabe steht der Bundeswehr das ZMSBw zur Verfügung. Dessen Auftrag umfasst neben der geschichtswissenschaftlichen Forschung auch die historische Bildung der Angehörigen der Bundeswehr. Dafür nutzte das ZMSBw bis vor kurzem vor allem Printprodukte. Dazu gehören unter anderem die breit in die Truppe verteilte Zeitschrift „Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung“ oder die dem Offizier- und Feldwebelnachwuchs ausgehändigten Lehrbücher zur Militärgeschichte. Mit Beginn des Angriffskrieges der Russischen Föderation auf die Ukraine im Februar 2022 war klar, dass das ZMSBw schneller auf den Bildungsbedarf in der Truppe reagieren muss. Dies ist auch gelungen. Bereits sechs Wochen nach Beginn des Krieges veröffentlichte das ZMSBw ein Online-Dossier zur Ukraine mit wichtigen Beiträgen zu den sicherheitspolitischen und völkerrechtlichen Aspekten dieses Krieges. Kurze Zeit später kamen Beiträge zur Geschichte und Militärgeschichte der Ukraine hinzu. Seitdem erscheint mindestens ein neuer Beitrag pro Monat im Online-Dossier. Auch militärische Themen wie beispielsweise die Luftverteidigung oder die hybride Kriegführung in der Ukraine gehören dazu. Weil dieses neue Format sehr gut in den Streitkräften ankam, wurden einige Beiträge aus dem Online-Dossier in Sonderheften der Zeitschrift „Militärgeschichte“ gedruckt und in der Truppe verteilt. In der Planung ist bereits ein weiteres Online-Dossier über Afghanistan. Der abgeschlossene Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch ist weiterhin aktuell, wie beispielsweise die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, die vielfältigen Aktivitäten der Veteranen der Bundeswehr sowie das Militärhistorische Museum in Dresden mit seiner neuen Ausstellung „Die Bundeswehr in der Ära Merkel. Krieg und Frieden 2005-2021“ zeigen.

Seit 2018 veröffentlicht das ZMSBw bis zu drei Bücher pro Jahr in der Reihe „Kriege der Moderne“. Diese Bücher sind in leicht verständlicher Sprache geschrieben und enthalten viele Bilder und Graphiken über Feldzüge und taktische Lagen, die sich bestens für die historische Bildung, aber auch für die Taktikausbildung eignen. Den Zusammenhang von Logistik auf operativer und militärstrategischer Ebene mit dem Kulminationspunkt eines Krieges hat Peter Lieb in seinem Buch „Krieg in Nordafrika 1940-1943“ sehr anschaulich herausgearbeitet. Um die Wechselwirkungen der politischen mit den strategischen, operativen und taktischen Entscheidungsebenen zu erkennen, sei das Buch von Gerald Groß über den Ersten Weltkrieg empfohlen. Wer die Anfänge des russischen Imperialismus und die geostrategische Bedeutung der Ukraine verstehen möchte, sollte das Buch „Der große Nordische Krieg 1700-1721“ von Stephan Lehnstaedt in die Hand nehmen. In dem neuesten Buch der Reihe „Kriege der Moderne“ stellt Reiner Pommerin die Kuba-Krise vor nunmehr 60 Jahren dar. Er zeigt, wie rationales Denken und guter Wille der verantwortlichen Politiker dabei halfen, diese gefährliche Krise zu deeskalieren. Reiner Pommerins Buch wird künftig auch als Hörbuch erhältlich sein.

Aushängeschild der Bemühungen des ZMSBw, vermehrt digitale Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen, sind die Podcasts. In „Zugehört! Der Podcast des ZMSBw“ wurden bereits 46 Produktionen zu militärgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen Themen eingestellt. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit. Auf besonders hohes Interesse stoßen dabei Themen aus dem Zweiten Weltkrieg, aber auch über hybride Kriegführung, den Einsatz der Bundeswehr im Katastrophenfall oder die Kleine Kampfgemeinschaft. Ganz aktuell ist die Reihe zu den Krisen des Kalten Krieges. Jeden Monat werden 2-3 neue Podcasts veröffentlicht.

Ein neues Bildungsangebot stellen die Audio-Dateien mit Buchbesprechungen dar. Angehörige des ZMSBw und seiner beiden Vorgänger, des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) und des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SOWI), haben bisher rund 1500 Bücher und Forschungsberichte veröffentlicht. Hier liegt ein gewaltiger Wissensschatz, der in den Streitkräften kaum bekannt ist. Seit dem 2. Juni 2022 veröffentlicht das ZMSBw jeden Donnerstag um 10 Uhr eine neue Buchbesprechung. Darin werden in kurzer Zeit die wichtigsten Inhalte von Büchern aus den verschiedenen Reihen des ZMSBw vorgestellt. Und zwar so, dass neben den Kernaussagen auch deutlich wird, was man damit als Soldat anfangen kann. Im Oktober und November 2022 erscheinen Besprechungen von Büchern über den Kalten Krieg. Damit reagierte das ZMSBw auf eine Forderung aus dem Bereich Heer. Vorgestellt wurde auch ein Standardwerk über die Geschichte der Ukraine sowie das Buch „Hier ist Krieg. Afghanistan-Tagebuch 2010“ des damaligen Hauptfeldwebels Markus Götz. Ab und zu stellt das ZMSBw auch Bücher externer Autoren vor. Darunter befindet sich der Bestseller „Deutsche Krieger“ von Sönke Neitzel. Empfehlenswert ist auch das Buch „Putz- und Flickstunde. Zwei kalte Krieger erinnern sich“ der Schriftsteller Sten Nadolny und Jens Sparschuh, die über ihre Wehrdienstzeit in Bundeswehr und NVA berichten. Alle Podcasts sind auf der Webpage des ZMSBw (www.zms.bundeswehr.de) sowie in Streamingdiensten (Apple Podcasts und Spotify) verfügbar.

Als Einstieg in die Beschäftigung mit militärgeschichtlichen Themen eignen sich auch die „Aktuellen Karten“. Vom ZMSBw erstellte Graphiken wecken Interesse, die dazugehörigen kurzen Texte geben einen schnellen Überblick. Überhaupt sind alle Bildungsangebote in der Mediathek des ZMSBw vernetzt. Wer sich nach dem Anschauen einer „Aktuelle Karte“ oder dem Zuhören einer Buchbesprechung tiefer in ein Thema einarbeiten möchte, findet dort Links zu Podcasts und zu Artikeln der ebenfalls online verfügbaren Zeitschrift „Militärgeschichte“. Zahlreiche Bücher wie die „Wegweiser zur Geschichte“ oder Berichte über Tagungen und Forschungsprojekte kann der Leser kostenfrei herunterladen.

Ein besonders attraktives Angebot für die Bildungsarbeit bietet das Militärhistorische Museum der Bundeswehr (MHMBw) an seinen Standorten Dresden und Berlin-Gatow und seiner Außenstelle auf der Festung Königstein. Hinzu kommen über 100 regionale Ausstellungen, Militärgeschichtliche Sammlungen und Lehrsammlungen in Schulen und Truppenteilen der Bundeswehr. Diese Einrichtungen des Museums- und Sammlungsverbunds setzen sich in ihren Ausstellungen, Führungen und Unterrichten differenziert mit der deutschen Militärgeschichte auseinander. Sie fördern darüber hinaus den Stolz auf die Leistungen des eigenen Verbandes, insbesondere mit Blick auf die Auslandseinsätze. Die Begegnung mit historischen Objekten ist besonders wertvoll, weil sie die Vorstellungskraft verbessern und das Nachdenken darüber anregen, wie man sich selbst in vergleichbaren Situationen verhalten hätte. Gespräche im MHMBw im Angesicht des zerstörten Einsatzfahrzeuges Mungo, das an den Selbstmordanschlag südlich Kunduz im Oktober 2008 erinnert, bei dem zwei deutsche Soldaten fielen und fünf afghanische Kinder starben, hinterlassen einen bleibenden Eindruck.

Das ZMSBw wird seine Bildungsangebote weiterentwickeln. Geplant sind kurze Videoclips zu militärhistorischen Themen, weitere Hörbücher sowie – als ein Pilotprojekt – ein Graphic Novel. In den sozialen Medien wird das ZMSBw künftig noch stärker präsent sein. Im BwMessenger ist bereits heute der Raum „Historische Bildung und Militärgeschichte“ eingerichtet. Jeden Tag erscheint darin eine Kurzinformation zu historischen Personen und Ereignissen. Bald wird das ZMSBw neben einem gedruckten Sammlungskatalog auch eine interaktive Internetplattform mit Informationen und Bildern zu den jeweiligen Ausstellungen bereitstellen.

Für die Weiterentwicklung der Bildungsangebote des ZMSBw ist der Dialog mit der Truppe wichtig. Hinweise auf das Interesse von Soldatinnen und Soldaten an militärhistorischen Themen geben deren Anfragen an die „Ansprechstelle für militärhistorischen Rat“ sowie deren Anforderungen von Informationsmaterialien. Künftig werden wir noch intensiver das Gespräch mit Angehörigen der Streitkräfte über deren Bildungsbedarf suchen.

Fassen wir zusammen: Militärgeschichte ist wichtig für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Es kommt darauf an, den zweifachen Nutzen historischer Bildung für die Verwirklichung des Leitbildes vom „Staatsbürger in Uniform“ sowie für die Einsatzmotivation der Soldatinnen und Soldaten und die Planungs- und Entscheidungskompetenz von Vorgesetzten zu verdeutlichen. Das ZMSBw bietet dafür vielfältige Bildungsprodukte an, die im Dialog mit der Truppe weiterentwickelt werden.