von Stephan Thomas
„In die Zukunft blickend, kehren wir zu Bewährtem zurück, unter den Vorzeichen der Ansprüche an jene Kriegführung, welche die Zukunft an uns stellt.“

„Die Ausbildung der Streitkräfte ist zu modernisieren und zukunftsfest zu gestalten, so der Auftrag des Generalinspekteurs der Bundeswehr bei der Anweisung der AGENDA Ausbildung im August 2018. Soldatinnen und Soldaten sind bestmöglich auszubilden und für ihren Auftrag zu qualifizieren. So stehen jederzeit einsatzbereite Streitkräfte bereit. Die Ausbildung wird methodisch geschickt, motivierend, wertschätzend sowie praktisch ausgerichtet, so die damaligen Vorgaben.“
Diesen Vorgaben entsprechend, erfolgt die Anpassung der Führerausbildung im Deutschen Heer. Diese wird mit Angleichung der Unteroffizier- und Feldwebelausbildung zum Herbst 2022 an die schon geänderte Ausbildung des Offiziernachwuchses dann abgeschlossen sein.
Verantwortung und Erfolg liegen hier durchweg in unserer Hand und sind im Vergleich zur Erreichung der Vollausstattung der Großverbände des Heeres mit kriegstauglichem Gerät, finanziell weitestgehend unabhängig.
Neue, alte Messlatte: Gefecht der verbundenen Waffen
Die aufgrund der sicherheitspolitischen Lage in Europa und der damit verbundenen Einsparungsrationale in den 2000er Jahren erfolgte Abkehr von der Vollausstattung der Truppe hat in den Folgejahren zwangsweise in der Ausbildungslandschaft zu einer starken Zentralisierung an Ausbildungszentren (die wir heute wieder bei ihren traditionellen Namen nennen und als Schule bezeichnen) geführt. Zudem verlangte die Fokussierung auf Einsätze im Rahmen des Internationalen Krisenmanagements (IKM) eine entsprechende Akzentuierung der Ausbildungsinhalte an die Realitäten in den Einsatzgebieten.
Dabei wurden die Ausbildung zur Befähigung zum Gefecht der verbundenen Waffen – wie sie in einem hochintensiven Einsatz im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) erforderlich ist – nie ganz aufgegeben.

Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Rahmenbedingungen als auch die Einsatzrealitäten dazu geführt haben, dass das Gefecht der verbundenen Waffen nicht mehr so intensiv und vor allem nicht mehr so regelmäßig wie in den 80er und 90er Jahren ausgebildet und geübt wurde und wird. Die meisten Ausbildungs- und Übungsvorhaben – insbesondere diejenigen „im scharfen Schuss“ – beschränkten sich auf die Ebene einer verstärkten Kompanie oder bestenfalls eines verminderten Kampftruppenbataillons. Das hat mit Blick auf die junge Generation von Soldatinnen und Soldaten aller Laufbahnen dazu geführt, dass notwendige Bilder und Wissen zur Führung des hochintensiven Gefechts in vielen Bereichen verloren gegangen sind.
Diesen Verlust konnte auch keine Informations- und Ausbildungslehrübung umfänglich und anhaltend ausgleichen. Denn nur, wer selbst aktiv und in verantwortlicher Verwendung bei Ausbildung und Übungen erlebt hat, was passiert, wenn sich Truppe beim Anmarsch zum Gegenangriff verfährt und sich nicht zeitgerecht auswirkt, oder wer erlebt hat, was es bedeutet, wenn ein Panzer beim Stellungswechsel in der Verzögerung die Kette wirft und was erfolgt, wenn man die eigene Truppe nicht über Funk erreicht, obwohl der Gefechtsbefehl drängt, wird aus diesen Erfahrungen wirksam lernen, sie übertragen und so in einem hochintensiven, komplexen Gefecht erfolgreich anwenden können.
Man mag nun den Eindruck gewinnen, als sei die heutige Soldatengeneration des Heeres für einen Einsatz im Rahmen von LV/BV nicht geeignet. Dieser Eindruck trügt!
Die Befähigung zum Kampf, das Treffen von Entscheidungen in physisch und psychisch Grenzlagen, der gezielte Waffeneinsatz und die Bewährung im Gefecht haben Soldatinnen und Soldaten des Deutschen Heeres in den letzten 20 Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Allerdings – und das ist der qualitative Unterschied – sind Gefechte im Rahmen des IKM häufig räumlich und zeitlich begrenzt. Im Gegensatz dazu sind Angriff, Verzögerung und Verteidigung im Rahmen von LV/BV deutlich komplexer. Es ist besonders das Zusammenspiel von Kampf- und Kampfunterstützungskräften über weite Entfernungen und über mehrere Führungsebenen, die ausreichende und zeitgerechte Versorgung der Truppe sowie der Umgang mit erhöhtem Personal- und Materialersatz aufgrund der Intensität der Kampfhandlungen, die das Gefecht der verbundenen Waffen kennzeichnen. Sich diese Befähigung anzueignen, ist nicht nur der Verfassungsauftrag, sondern auch angesichts der derzeitigen und absehbaren sicherheitspolitischen Rahmenlage dringend erforderlich. Damit wir in der Zukunft bestehen, gilt es also, Altbewährtes mit Neubewährtem zu verknüpfen, offen für Neues und Altes zu sein und dabei den Fokus unserer Anstrengungen wieder primär auf die Befähigung zur LV/BV zu legen. Einsätze des IKM bewältigen wir dann unverändert.
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass dieser Mentalitätswechsel nur im Gleichschritt mit einer erfolgreichen Umsetzung der AGENDA Ausrüstung gelingen kann.
Das erforderliche „Mindset“ und die damit korrespondierende Fähigkeit hängt in hohem Maße von tiefem Vertrauen in eine kriegstaugliche und zukunftsfähige Ausrüstung und Ausstattung ab. Dieses Vertrauen entwickelt sich jedoch nur in beständiger Ausbildung und Übung mit eigenem Gerät über alle Führungsebenen in realitätsnahen Lagen und „im scharfen Schuss“. Dazu ist die Vollausstattung unserer Truppe unerlässlich!

Neue, alte Messlatte: Physische und psychische Robustheit im Gefecht
Den Wert des Deutschen Heeres bemisst die Politik zu Recht an der Bereitstellung einsatzbereiter Kräfte. Kriegstaugliche Ausrüstung und moderne Ausstattung unserer Verbände sind dafür wie o. d. unabdingbare Grundlage.
Für die Form und Ausgestaltung siegfähiger Kräfte benötigen wir im Kern den taktisch geschulten militärischen Führer – Bewährungsproben im hochintensiven Gefecht müssen physisch wie psychisch bestanden werden. Eigenständigkeit und Entschlusskraft zur Erfüllung von Aufträgen, Bereitschaft zum Risiko und robuster Durchsetzungswille sind Charaktereigenschaften, die auch den erfolgreichen Führer kennzeichnen. Wesentliche Voraussetzung hierfür sind körperliche und mentale Robustheit, Flexibilität im Denken, aber auch der Wille, Härten zu ertragen.
Ein Lehrgang, der im Rahmen der Offizierausbildung beinahe in Vergessenheit geraten ist, ist der Einzelkämpferlehrgang. Dabei erlaubt dieser wie kein zweiter das Erfahren und Überschreiten der eigenen Leistungsgrenze in Verbindung mit der Stärkung der körperlichen wie auch geistigen Robustheit. Die Kenntnis eigener Leistungsfähigkeit hat früher und wird auch in Zukunft wieder dem Offizier und Portepee-Unteroffizier des Heeres helfen, unterstellten Soldatinnen und Soldaten auch in Belastungssituationen überzeugend gegenüber zu treten. Denn wir müssen vor allem in der Krise und im Gefecht unseren Auftrag erfüllen.

Deshalb wurde die Einzelkämpferausbildung überarbeitet. Zudem erfolgt zukünftig auch die Einzelkämpfervorausbildung wieder in der Truppe. Ab 2022 wird die Qualifikation „Einzelkämpfer“ dann bei zentralen personellen Auswahlverfahren und bei wichtigen Verwendungsauswahlentscheidungen für Offiziere im Truppendienst (Werdegang Kampf, teilweise Werdegänge Unterstützung und Militärisches Nachrichtenwesen) und für Feldwebel im Truppendienst des Heeres – zum Beispiel für herausragende Führungsverwendungen – wieder zur Bedarfsträgerforderung erhoben. Auch für die Übernahme zum Berufssoldaten wird man mit dem Einzelkämpferlehrgang wieder punkten können. Das Heer benötigt Soldatinnen und Soldaten, die bereit sind, bis an ihre Leistungsgrenzen und darüber hinaus zu gehen.
Das erfordert Training, denn der körperliche Leistungsstand bei Eintritt in die Streitkräfte ist gelegentlich weit entfernt von dem, was wir erwarten und brauchen. Dem haben wir Rechnung getragen, in dem wir die Erhöhung des Stundenansatzes zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit (KLF) in der Grundausbildung eingeführt haben. Und diese Maßnahme trägt Früchte, auch wenn die CoVid-19-Pandemie uns hier zu Abstrichen gezwungen hat.

Höchste Pflicht des Vorgesetzten: Prägung und Erziehung des Führungsnachwuchses
Seit letztem Jahr absolvieren die Offizieranwärter gemeinsam mit Mannschaften und zukünftig auch mit den Unteroffizier- und Feldwebelanwärtern (UA/FA) sowohl die Grundausbildung (GA) als auch anschließend die Spezialgrundausbildung (SGA) in den Bataillonen und Verbänden des Heeres. Mit der Dezentralisierung der Ausbildung zurück in die Truppe haben wir die konsequente Ausrichtung des Heeres auf LV/BV und die damit einhergehende Forderung nach einer frühestmöglichen, truppennahen und handlungsorientierten Ausbildung berücksichtigt. Ein in der Entstehung nicht immer leichter Schritt, weil er eine zusätzliche Belastung für die Truppe bedeutet, aber ein notwendiger und lohnender, denn dieses Investment der Truppe in den eigenen Führernachwuchs zeigt bereits erste positive Effekte.
Mit der Rückverlagerung der Ausbildung in die Verbände haben wir die Truppenführer in die Pflicht genommen, den Nachwuchs von der Pike auf zu prägen. Somit werden die persönliche Bindung an die Truppe und frühzeitiger Waffen- und Truppengattungsstolz, die Teamfähigkeit und Kameradschaft sowie das Verständnis des Soldatenberufs gestärkt und die militärische Heimat in den Mittelpunkt gestellt. Die jungen Offizieranwärter erfahren auf gemeinsamen Übungsplatzaufenthalten, was den Soldatenberuf jenseits des Kasernenalltags wirklich ausmacht. Sie teilen Freud, Leid und Entbehrungen mit den Unteroffizieren und Mannschaftssoldaten ihrer Kompanie, ihres Verbandes und werden damit integraler Bestandteil ihrer kleinen Kampfgemeinschaft. Diese Erfahrung wird auch nach Rückkehr aus dem Studium in ihrer Verwendung als Zugführer tragen. Die Erfahrung gegenseitigen Vertrauens und Kameradschaft bilden eine wichtige Basis.

Erste Erkenntnisse
Die erste gemeinsame GA und SGA war von der CoVid-19-Pandemie geprägt. Die Ausbildung musste von zwölf auf sechs Wochen gekürzt werden. Das ist bedauerlich, da insbesondere die Aufrechterhaltung der substantiell prägenden Grundlagenausbildung unseres Führernachwuchses mitentscheidend für ihr Können als zukünftige Führer, Ausbilder und Erzieher ist.
Trotz der CoViD-19-bedingten Umstände und Einschränkungen ist es der Truppe aber gelungen, bei dem was vermittelt werden konnte, eine gute und hochwertige Ausbildung zu gewährleisten. Unsere Erwartungen an die Umstellung der Ausbildung haben sich sowohl quantitativ als auch qualitativ bestätigt.
Für die GA und SGA allgemein gilt, dass die Einbindung der Offizieranwärter das Ausbildungsniveau spürbar verbessert hat. Die frühzeitige Bindung an die Truppengattung (TrGtg) wurde durch das frühe Heranführen an das Unterführer- und Offizierskorps des Verbandes erreicht. Die künftigen militärischen Führer sind motiviert, leistungsbereit und wollen fordernd ausgebildet werden. Dabei ist den Offizieranwärtern, wie allen Soldatengenerationen vor ihnen, vor allem eine erlebnisorientierte Ausbildung sehr wichtig. Hier werden wir nicht nachlassen: in der GA wird der Grundstein des militärischen Könnens gelegt und in der folgenden Ausbildung in der Truppe und an den Schulen des Heeres werden die entscheidenden Anteile des militärischen Rüstzeugs gesammelt.

In der Truppe ist bei wieder verstärkter Präsenz von „truppenerfahrenem“ Führungsnachwuchs auch wieder zunehmend mit höherer Wertschätzung für diese jungen Offizieranwärter und Offiziere zu rechnen. Im Vergleich zum alten Modell wird der Nachwuchs wesentlich tiefgehender durch die Truppe geprägt und im militärischen Grundhandwerk ausgebildet sein. Die jungen Offizieranwärter und künftigen Offiziere erhalten so ein umfassenderes Verständnis ihrer Truppe und ihrer Truppengattung.
Die Entscheidung diese Prägungsverantwortung zurück in die Hände der Truppenführer zu geben, war richtig und gut. Insgesamt zeichnet sich, trotz der Herausforderungen unter CoViD-19, ein sehr positiver Eindruck der ersten beiden Abschnitte der neuen Regelausbildung für Truppendienstoffiziere ab. Die jungen militärischen Führer haben gute Voraussetzungen (Ausbildung, Einstellung und körperliche Leistungsfähigkeit) aus den Truppenteilen mit in die Ausbildungen an den Truppenschulen gebracht. Auch hier wollen sie mit Leistung überzeugen und gehen mit Schwung und Elan die neuen Herausforderungen an. Der gute Eindruck, den sie in der Truppe hinterlassen hatten, konnte nach ersten Erkenntnissen durch den Inspizienten der Offizierausbildung bestätigt werden. Eine abschließende Bewertung der gesamten Offizierausbildung wäre aber mit Blick auf weitere Ausbildungsabschnitte noch verfrüht.

Ausblick
Das „Wie“ der Ausbildungslandschaft haben wir selbst in der Hand und es ist unsere Pflicht, uns an den Entwicklungen der Zeit und den zukünftigen Bedarfen auszurichten. Die Erkenntnisse aus der Offizierausbildung werden wir nicht nur bei der Planung des neuen Offizieranwärterlehrgangs, sondern auch bei der Umstellung der Unteroffizier- und Feldwebelausbildung im Oktober nächsten Jahres berücksichtigen. Wo nachjustiert werden kann und muss, dürfen Prozessabläufe keinen Hinderungsgrund darstellen. Strukturelle und organisatorische Anpassungen sind daher ein richtiger Schritt zur Wiedererlangung der Kriegstüchtigkeit deutscher Landstreitkräfte. Die Prägung eines „Mindset LV/BV“ bei unserem militärischen Führernachwuchs muss den Schwerpunkt unserer Ausbildungsanstrengungen bilden.
Das war unter CoViD-19 nicht immer einfach. Die pandemiebedingten Einschränkungen haben das Ausbilden und Üben oberhalb der Kompanieebene häufig nur eingeschränkt möglich gemacht. Dieser Umstand muss schnellstmöglich korrigiert werden. Gefechtsausbildungen und Übungen im scharfen Schuss auf Bataillonsebene und auch darüber müssen wieder zentraler Bestandteil der Ausbildung eines jeden militärischen Führers sein – und von diesen aktiv gesucht werden. All das müssen wir „im laufenden Gefecht“ leisten, denn Einsätze und einsatzgleiche Verpflichtungen werden in den nächsten Jahren nicht weniger. Auch die materiellen Herausforderungen in der Ausstattung werden uns absehbar noch weiter begleiten.
