von Jan-Phillipp Weisswange
Auch wenn inzwischen Pferdestärken die Pferde ersetzt haben, stehen moderne gepanzerte Kampftruppen in der Tradition der Kavallerie. So auch die Panzergrenadiere, die sich durch den Wechsel zwischen auf- und abgesessener Kampfweise auszeichnen – also wahlweise vom Fahrzeug herab kämpfen oder dies zu Fuß tun: „Dragoner sind halb Mensch, halb Vieh – auf’s Pferd gesetzte Infanterie“, lautet eine alte soldatische Weisheit. Ehemalige, aktuelle und zukünftige Arbeitspferde der deutschen Panzergrenadiertruppe standen kürzlich in Munster im Fokus. An der dortigen Panzertruppenschule boten Bundeswehr, Freundeskreis Panzergrenadiere und Rheinmetall nicht nur einen einmaligen Einblick in gut sechseinhalb Jahrzehnte deutscher Schützenpanzergeschichte, sondern mit dem „System Panzergrenadier“ auch einen Ausblick in die Zukunft.

Nachträglicher Festakt
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand freilich zunächst das bewährte und noch immer im Dienst befindliche Arbeitspferd der heutigen Dragoner – der Schützenpanzer Marder. Er feierte am 7. Mai 2021 sein 50jähriges Dienstjubiläum. An jenem Tag im Jahre 1971 hatte das Deutsche Heer die ersten Serienfahrzeuge in die Nutzung übernommen. Dies geschah seinerzeit mit zeitgleichen Zeremonien in Kassel und Kiel – den Sitzen der ursprünglichen Herstellerfirmen Thyssen-Henschel und Krupp MaK. Beide Firmen sind seit 1999 bzw. 2001 Bestandteil von Rheinmetall.
Pandemiebedingt musste die ursprünglich Anfang Mai geplante Veranstaltung auf den Oktober verschoben werden. Als Original Equipment Manufacturer des Marders und ein Joint Venture Partner des für dessen Nachfolger Puma zuständigen Herstellerkonsortiums PSM GmbH unterstützte Rheinmetall die Veranstaltung. So standen die Rheinmetaller Bernd Prassler und Werner Sauerwald dem General der Panzertruppen, Oberst Bernd Prill, und dem Freundeskreis Panzergrenadiere bei Konzeption und Vorbereitung der Veranstaltung zur Seite. Ludwig Ostler, der Geschäftsführer der Rheinmetall Landsysteme GmbH, betonte in seinem Grußwort die hohe Bedeutung des Marders für das Unternehmen. Von der Schützenpanzerexpertise würden auch andere Gefechtsfahrzeug-Vorhaben profitieren.

Geschichte, internationaler Einsatz und Zukunft
Drei Vorträge standen auf dem Programm des Festaktes, der von Generalmajor Gunter Schneider, dem Vorsitzenden des Freundeskreises Panzergrenadiere, und Oberst Prill moderiert wurde.
Der renommierte Panzerexperte Rolf Hilmes behandelte in seinem Vortrag einige Aspekte der Schützenpanzerentwicklung der Bundeswehr. Dabei ging er auf erste Entwürfe eines Vollketten-Schützenpanzers noch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs ein, die in Nachkriegsentwürfe mündeten. Weiterhin wies Hilmes auf technische Herausforderungen hin, die die Konstrukteure bei der Entwicklung des Marders bereits in den 1960er Jahren festgestellt hatten und die sich kurioserweise bei der Entwicklung des Pumas erneut gezeigt hätten. „Wissensmanagement kann bei der Entwicklung von Rüstungsgütern helfen“, so Hilmes augenzwinkernd.
Tim Taudien, der Rheinmetall-Projektleiter für die Marder-Nutzungsdauerverlängerung, stellte im Anschluss detailliert die Maßnahmen vor, mit denen der Marder derzeit fit für die weitere Nutzung gemacht wird. Dies geschieht unter anderem durch die Einrüstung von neuen Sichtmitteln für Fahrer, Richtschütze und Kommandanten, die Integration des Mehrrollenfähigen Leichten Lenkflugkörpersystems MELLS, die Modernisierung der Feuerlöschanlage und eines neuen Antriebsstranges. Mit den derzeit vorgenommenen Maßnahmen zur Nutzungsdauerverlängerung soll der Schützenpanzer Marder voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahrzehnts betrieben werden können.
Jörg Uecker, Teamleiter Service Sales & Projects international, widmete sich anschließend den weiteren Marder-Nutzernationen. So befindet sich das Fahrzeugsystem neben Deutschland auch in Argentinien, in Jordanien, in Indonesien und in Chile in Nutzung. In Chile liegt das Einsatzgebiet in Wüsten- und Gebirgsregionen in über 4.000 Meter Höhe über dem Meeresspiegel – kein Problem für den Marder!

Einzigartiges Familientreffen
Ein weiteres Highlight bildete ein veritables Fahrzeug-Familientreffen: Das Panzermuseum, die Panzertruppenschule, Rheinmetall und die PSM GmbH hatten eine einzigartige statische Waffenschau zusammengetragen: Sie zeigte sechseinhalb Jahrzehnte Schützenpanzergeschichte der Bundeswehr. Den ersten Block bildeten der M39 aus US-amerikanischer Produktion und der HS-30. Der M39 gehörte zur Erstausstattung der 1955 aufgestellten Bundeswehr und blieb allenfalls eine Behelfslösung, da die Alliierten das Konzept der Panzergrenadiere noch nicht übernommen hatten und demzufolge keine Schützenpanzer besaßen. Der HS-30, eine schweizerisch-spanische Produktion, konnte das deutsche Heer wegen technisch-taktischer Unzulänglichkeiten auch nicht überzeugen, was dann zum Start des Marder-Projekts führte. Diesem 1971 eingeführten Schützenpanzer war der zweite Block gewidmet, in dem sich drei verschiedene Varianten des Fahrzeugs befanden. Den dritten Block bildeten dann dessen modernste Version Marder 1A5A1, der zunächst designierte Nachfolger Marder 2 – ein Prototyp von 1992 – sowie der heutige Schützenpanzer Puma. Dieser ist ein Produkt der PSM GmbH, einem von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann geführten Joint Venture. In Munster war er in der derzeit modernsten Konfiguration VJTF zu sehen. VJTF steht für Very High Readiness Joint Task Force, das ist die NATO-Speerspitze, die 2023 das nächste Mal von der Bundeswehr gestellt werden wird. Als weiterer Hingucker auf dem Symposium war an das Fahrzeug ein Nachweismuster der Turmunabhängigen Sekundärwaffenanlage (TSWA) montiert. Die TSWA verfügt über eine eigene Zieloptik und lässt sich aus dem Kampfraum des Schützenpanzers Puma per Tablet fernbedienen. Auf diese Weise kann der aufgesessene Schützentrupp feindliche Kräfte mit nichtletalen Wirkmitteln oder Gefechtsmunition auf mehrere hundert Meter bekämpfen.

Puma leitet neue Ära ein
Gemeinsam mit der von Rheinmetall gelieferten modularen Kampfausstattung „Infanterist der Zukunft – Erweitertes System“ in der Version VJTF2023 bildet der Schützenpanzer Puma das „System Panzergrenadier“. Das System Panzergrenadier führt zum ersten Mal in Deutschland eine digitalisierte Fahrzeugplattform – den Schützenpanzer Puma in der verbesserten Ausbaustufe VJTF – mit einem mit digitaler Funktechnik ausgestatteten Soldatensystem zusammen. Die enge Vernetzung von Sensoren und Effektoren sowohl der Soldaten als auch der Schützenpanzer minimiert die Zeit zwischen Aufklärung und Wirkung. Diese Verschmelzung zu einem Gesamtsystem ermöglicht ein effektives taktisches Zusammenwirken der Soldaten mit ihren Schützenpanzern und erhöht den Einsatzwert der Panzergrenadiertruppe. Am 18. März 2021 hatte der Inspekteur des Heeres die taktische Gefechtstauglichkeit dieses Systems erklärt.

Auf dem Weg zum nächsten Jubiläum?
Zur Realität gehört aber auch, dass die deutsche Panzergrenadiertruppe derzeit nicht vollständig mit dem System Panzergrenadier ausgestattet ist – und noch nicht einmal vollständig mit dem Schützenpanzer Puma! Vier Panzergrenadier-Bataillone führen derzeit noch den Marder ins Feld. Und auch bei Vollausstattung mit Puma wird derzeit angedacht, den Marder für eine noch aufzubauende Reserve in der Truppe zu behalten.
Der äußerst zuverlässige und einsatzerprobte Marder wird also absehbar noch einige Jahre ein wichtiges Hauptwaffensystem der deutschen Panzergrenadiere bleiben. Gleichwohl, so war man sich bei der Tagung einig, gehöre dem Puma die Zukunft – zumal es sich bei ihm um das erste voll digitalisierte Dragoner-Arbeitspferd handelt.
Dr. phil. Jan-Phillipp Weisswange ist Oberstleutnant der Reserve in der Heeresaufklärungstruppe und arbeitet hauptberuflich als Referent Öffentlichkeitsarbeit der Rheinmetall AG.
